Warum ich auf Hochzeiten 6000 Bilder fotografiere

Der Peak-Moment

oder

Warum ich auf Hochzeiten 6000 Bilder fotografiere

Es gibt ein Thema unter uns Hochzeitsfotografen, das regelmäßig alle paar Monate immer wieder hochkocht und bei dem sich die Geister scheiden. Ja, schon regelrechte Grabenkämpfe wurden um dieses Thema herum ausgetragen, inklusive Beleidigungen, Spott und Häme.
Das ganze mit der Note eines Kampfes Thor gegen Hulk. Am Ende gewinnt niemand und alle haben Kopfweh.
„Du liebe Güte!“, mag man da nun denken, „Was ist das bitte für ein Thema, wegen dem sich zivilisierte Menschen in den Tiefen des Internetzes gegenseitig so dermaßen kompromisslos an die digitale Gurgel gehen?“ Sowas schaffen eigentlich sonst nur Idioten wie Trump und Konsorten.
Das Thema lautet, als bewusst provokant formulierte These auf den Punkt gebracht:


„Wer tausende von Bildern während einer Reportage schießt, ist ein besserer Fotograf…“


„Oha, da reißt jemand sein Maul ganz schön weit auf“, mag manch einer nun denken.
Nun, ich bin einfach davon überzeugt, dass es so ist. Weil ich einzig und allein aus Erfahrung spreche.
Und wenn ich etwas in den Raum stelle, dann stehe ich dazu.
Ich habe die Weisheit sicherlich nicht gepachtet und nicht jeder mag meine Meinung teilen.
Aber ich habe großen Spaß mit dieser Arbeitsweise, und wenn ich den ein oder anderen ein wenig inspirieren und/oder zumindest mit einigen Missverständnissen aufräumen kann, hat sich der Aufwand ja schon gelohnt.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen!



Genau im richtigen Augenblick… oder?

Schaut euch doch bitte das Bild oben mal für ein paar Sekunden an.
Ein toller Moment, nicht wahr?
Ich muss sagen, ich liebe dieses Bild!
Das Paar war soeben nach der Trauung aus der Kirche ausgezogen, eine Windbö kam auf und der Schleier wehte im Wind und schrieb eine perfekte harmonische S-Kurve in der Luft…
Da habe ich also genau im richtigen Moment abgedrückt – oder?

Vielleicht denkt manch einer nun an Henri Cartier-Bresson und seinen berühmt-berüchtigten moment décisif der entscheidende Moment, für dessen Treffgenauigkeit Henri so berühmt war.
In der Tat spricht nichts dagegen, solche Skills zu trainieren – also das Können, in sagen wir mal einem 2 bis 3 Sekunden lang dauernden Moment genau den einen Bruchteil einer Sekunde mit einem einzigen Shot zu erwischen, in dem alles stimmt und alles passt wie Arsch auf Eimer.

Für alle, die nun denken, ich sei die Reinkarnation von Henri Cartier-Bresson:
Ich muss euch leider enttäuschen.
Ja, ich war im richtigen Moment zur Stelle, und ja, ich habe nur einmal abgedrückt. Aber ich habe nicht nur ein einziges Bild gemacht – sondern exakt 24, innerhalb von 3 Sekunden. Umgerechnet schieße ich im Burst-Mode also 8 Bilder pro Sekunde.

Und das geschieht während einer Hochzeitsreportage viele hunderte mal am Tag: Sobald sich mir eine dynamische Situation oder Szenerie offenbart, denke ich nicht lange nach:
Fokussieren und draufhalten – „Feuer frei!“

 

6000 Bilder sind nicht viel

In den letzten 2 Jahren, ganz besonders aber in 2018, begann ich, immer mehr im Burst-Mode zu fotografieren. Bald waren 3000 fotografierte Bilder während einer Tagesreportage von 8 bis 12 Stunden keine Seltenheit und 4000 bis 6000 Bilder wurden schnell zur Normalität – inzwischen (Stand: August 2019) kommen mir 4000 schon wenig vor – mein Rekord an Auslösungen auf einer einzigen Hochzeit liegt inzwischen bei 10.241. Ganz liebe Grüße an dieser Stelle an Elena und Roman – eure Hochzeit war der Wahnsinn!

Interessant ist: Je mehr Bilder man fotografiert, desto weniger achtet man darauf, wie viel man eigentlich fotografiert – es wird einfach sehr schnell ein ganz selbstverständlicher Teil der eigenen Arbeitsweise.
Vielleicht ist genau das aber auch ein ganz wichtiger Punkt und das ganze Geheimnis von herausragender Hochzeitsfotografie:
Den Kopf ausschalten und einfach machen. Jedwede Gedanken, die mich in meinem „Flow“ blockieren könnten, sind dann fehl am Platz.

 

Der Kopf macht Urlaub

Natürlich sind meine Sinne aufs Äußerste geschärft und natürlich arbeitet mein Hirn auf Hochtouren, „denkt“ also schon auch nach, zumindest im Sinne von „Was könnte gleich da und dort passieren? Welche Entscheidung soll ich jetzt treffen?“ etc.
Aber das sind intuitive Gedanken, die mich antreiben und den „Flow“ begünstigen – sie helfen mir, ein Aktionspotential aufzubauen und pushen mich wie eine Adrenalinspritze durch den Tag, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

In diesen Momenten – und hier kommt die Art von Nachdenken, die hinderlich wäre – ist es mir allerdings völlig gleich, ob ich später 6000 und mehr Bilder durchschauen muss. Und auch der hypothetische und reale Verschleiß der Kamera ist mir einerlei.
Ich bin da, um niemals wieder bringbare Momente festzuhalten – nicht, um meine Kamera zu streicheln und in Watte zu packen. Für jedwede Befindlichkeiten ist während einer Hochzeitsreportage für mich sowieso kein Platz. Das einzige, was für mich zählt, ist dann das Jetzt und hier.
Und dann habe habe ich die Chancen, genau die Momente im Moment zu erwischen. Also nutze ich sie einfach.

Das meine ich mit „Kopf aus! Bauch an!“, und ich kann es nicht oft genug wiederholen. Denn genau dieses „Kopf aus!“ zwingt mich, Entscheidungen zu treffen, die allein auf pure Intuition und reines Bauchgefühl begründet sind.

Insofern ist eines der oft vorgetragenen Argumente pro wenig Bilder fotografieren augenscheinlich zwar richtig:
„Die Anzahl der fotografierten Bilder ist doch unwichtig – wichtig ist, was am Ende herauskommt.“
Wenn man aber bedenkt, dass man mit viel mehr Bildern viel mehr Momente im Moment treffen und damit ganz bewusst das besagte Endergebnis positiv beeinflussen kann, wendet sich dieses Argument am Ende gegen sich selbst.
So unwichtig ist die Anzahl der fotografierten Bilder also ganz und gar nicht.

 

„Ja, aber…“

Apropos:

Mit folgenden drei „Argumenten“, die immer wieder aufkommen, wenn man das Thema in einem der großen Hochzeitsfotografen-Gruppen auf Facebook anspricht, möchte ich an dieser Stelle ein für allemal aufräumen:

  • „Wahllos durch die Gegend fotografieren? Wie unprofessionell! Ein richtig guter Fotograf drückt im genau richtigen Moment einmal ab!“

Weshalb sollte man eine hohe Anzahl fotografierter Bilder von der Professionalität abhängig machen bzw. die hohe Anzahl mit Unprofessionalität gleichsetzen? Solche Argumente zeugen nur von Unwissenheit und reichlich Naivität.
Ich fotografiere z.B. sehr bewusst durch die Momente hindurch und keineswegs wahllos.

Manchmal muss man extrem schnell sein, um einen Moment zu „erwischen“. In diesen Sekundenbruchteilen bleibt keine Zeit, wirklich nachzudenken, man muss einfach agieren (siehe ein Absatz weiter oben).
Durch viel Erfahrung entwickelt man irgendwann ein intuitives Gespür dafür, in diesen Sekunden eine gescheite Komposition zu definieren.
Nicht nur das, man kann sich während des Fotografierens bewegen und gleichzeitig neu komponieren – und ich bewege mich sehr viel auf einer Hochzeit.
Das macht meine Bilder ja erst so dynamisch.

Das obige „Argument“ der „Anti-Burster“ ist schlichtweg falsch und auf purem Unwissen begründet. Wahr ist schlichtweg dies:
„Ein richtig guter Fotograf macht einfach richtig gute Fotos“.

Punkt.

  • „Das Sichten und Sortieren der Bilder dauert doch ewig!“

Auch das ist ein Trugschluss! Mit dem richtigen Tool geht das Sichten und Auswählen der Bilder nämlich im Nu!
Ich nutze z.B. „Photomechanic„, ein sehr mächtiges Programm, das die eingebetteten JPGs im RAW-File sofort anzeigt.
Zwar ist Lightroom mit dem aktuellen Update (August 2019) endlich wesentlich schneller geworden, aber eben immer noch nicht schnell genug, um in einem Rutsch durch die Bilder zu cullen – da diese immer erst in der Vorschau gerendert werden müssen.
Photomechanic ist und bleibt für mich das beste Tool für diesen Job.

Wie lange also braucht man zum Bilder sichten?
Ich nehme mal den aktuellen Rekord von 10.241 Auslösungen während einer ganz aktuellen 14stündigen Hochzeitsreportage als Beispiel:
Ich brauchte etwa 1,5 Stunden, um die Bilder komplett zu sichten und auszuwählen.
Ist das viel? Ich finde nicht.

Die Frage müsste also nicht lauten „Dauert das nicht zu lange?“, sondern vielmehr „Ist mir die Zeit das wert?“
Meine Antwort auf diese Frage kennt ihr ja bereits.

  • „Nur 10% werden am Ende bearbeitet? Das ist aber eine sehr magere Quote! Du musst ein sehr schlecher Fotograf sein, wenn du 90% für die Tonne fotografierst!“

Ich muss gestehen, das ist eins meiner Lieblings-„Argumente“ der „Anti-Burst-Mode-Fraktion“!
Weil es ein sehr naives Argument ist, das man in Nullkommanix in der Luft zerpflücken kann – sofern man sich bemüht, mal etwas weiter zu denken als bis zum Back-Button-Fokus-Knopf.

Am Ende kommt es doch nur aufs Ergebnis an, right? So argumentieren ja schliesslich die „Anti-Burster“. Zustimmung? Fein!
Wenn es nur aufs Ergebnis ankommt, warum wird dann aber eine Auswahl-Quote von 10% als „unprofessionell“ tituliert und schlecht-geredet?
D a s ist unprofessionell! Und schlichtweg absurd. Paradox, wirr, abstrus. Alles Adjektive, die ich übrigens supercool finde.

Nehmen wir mal an, ich fotografiere auf einer 8stündigen Hochzeit 2000 Bilder und bearbeite davon 750. Eine „Trefferquote“ von ca. 40%!
Man könnte nun denken: „Wow, das ist sicher ein richtig guter Fotograf! Quasi jeder dritte Shot sitzt! Knaller!!“
Umgekehrt: Ich fotografiere 8000 Bilder und bearbeite davon ebenfalls 750. Dann schrumpft die „Trefferquote“ auf augenscheinlich mickrige 9,375%.
Man könnte nun denken:“Boah ist der schlecht! 9 von zehn Bildern sind Schrott! Voll der Amateur!“

STOP!

Schaut euch mal die Bilder der Twomanns an. Oder die meines hochgeschätzten Kollegen und guten Freundes Steven Herrschaft. Beide fotografieren extrem viele Bilder auf einer Hochzeit.
Beide sind extrem gute Reportagefotografen und räumen reihenweise Preise ab! Aber ganz abgesehen von den Awards machen sie einfach unglaublich geile Bilder!
Diese beiden (und vielleicht in aller Bescheidenheit auch ich, kicher!!) sind für mich die Killer-Argumente schlechthin, die eindeutig „pro Burst-Mode“ sprechen.

Ich verwette alle meine Blitze darauf, dass, würde man die Bilder eines 2000-Bilder-Fotografen mit denen eines 6000+-Bilder-Fotografen vergleichen, die Bilder des 6000+-Fotografen eindeutig viel mehr und viel intensivere „Peak“-Momente zeigen werden als die des 2000-Bilder-Fotografen. Jede Wette!!

Wenn also ein extrem leidenschaftlicher Einsatz und ein enormer Durchsatz an Bildern dazu beitragen können, Bilder zu machen, die immer wieder einen gehörigen Quant intensiver, dichter, einzigartiger sind als die von anderen – Bilder, die sich über Generationen hinweg als Erinnerungen festsetzen werden – dann lohnt es sich doch allemal, 6000 und mehr Auslösungen durchzurattern, oder nicht?

LAST BUT NOT LEAST

Wenn du in einen Porsche mit 500PS steigst, würdest du auf der Autobahn im 1. Gang und mit angezogener Handbremse fahren?

Got it?

Eine Serie von 24 Bildern, aufgenommen innerhalb von 3 Sekunden. Der „Peak-Moment“ war hier das 2. Bild links in der 3. Reihe.

 

UND AUSSERDEM MACHT ES SPASS!

Zu guter letzt:
Auch, wenn man in der Regel nur die allerbesten 2 oder 3 Frames aus z.B. diesem einen Moment in der fertigen Hochzeitsreportage abgibt, so sind die restlichen Bilder nicht selten keinesfalls „umsonst“ gewesen.
Denn aus solchen „Burst-Szenen“ kann man zusätzlich auch noch wunderbare kleine „Daumenkinos“ in Form eines GIFs zaubern:

FAZIT?

Ich gestehe, die Anfangsthese oben war ganz absichtlich so reißerisch formuliert.
Hey, immerhin hast du bis hierhin durchgelesen.
Um abschließend also ein paar versöhnende Worte im Angesicht der leicht provokanten Eröffnungsthese zu formulieren:

Ich habe wie gesagt ganz sicher nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen. Jeder kann und darf und soll genau so arbeiten, wie er es selbst für richtig hält.
Es gibt nicht wirklich ein „richtig“ oder „falsch“ und auch will ich niemandem vorschreiben, dass er von nun an bitteschön mit nicht weniger als 6000 Bildern von einer Hochzeit nach Hause kommt, weil ich sonst vorbeischaue und es dann ganz dolle Haue gibt.

Aber es gibt zumindest – und davon bin ich mit jeder Faser meines Fotografen-Hirns überzeugt – bestimmte Wege, die einen direkter und unmittelbarer zu krasseren, besseren Ergebnissen führen, die man bis dato so nicht für möglich gehalten hätte. Und das Fotografieren im Burst-Mode ist für mich zweifellos so ein Weg.

Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn ich beim ein oder anderen „Anti-Burster“ vielleicht hier und da ein paar kleine Denkanstöße geben und eventuell sogar den ein oder anderen Denkfehler aufdecken und bewusst machen konnte.

Und vielleicht belassen wir es am Ende doch einfach bei folgendem Statement:

„Jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Und Grenzen setzt man sich immer nur selbst.“

In diesem Sinne:

„Burst it, baby!“

Ahoi!

Euer Rossi.

 

1 Comment

  1. Der Gegenlicht Olli /

    Im ersten Moment hören sich 6.000 Bilder sooooo viel an! Einfach so im Kopf – 6.000 Bilder, Wahnsinn! Dann denk ich: Wow, ich hatte diese Woche eine Kurzreportage. Nicht lang, nur 2 Stunden. Es dauert ewig bis die Bilder aufm Mac übertragen sind. Dann die Zahl: 2.128 Raws! Und ja, da sind viele tolle Momente dabei, die sicher NICHT dabei wären, wenn ich nur ein Bild pro Situation gemacht hätte!

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